Laut einer Studie, die mir während meiner Recherche für die Masterarbeit in die Finger gekommen ist, hat der Musikgeschmack der frühen 20er Jahre eines Menschen einen relevanten Einfluss auf die Musikwahl des restlichen Lebens. Das Genre und die Bands, die man als Anfang-20jährige(r) hört, hört man also mit sehr großer Wahrscheinlichkeit sein Leben lang. Das erscheint mir nur logisch, schließlich ist das eine sehr aufregende Zeit zwischen Schulabschluss und Einleben in Ausbildung, Studium, den ersten Job und überhaupt ins Leben. Und umso prägender ist die Musik, die diese Zeit begleitet. Als jemand, der zehn Jahre vor der Jahrtausendwende geboren wurde, befindet sich dieser prägende Übergang für mich in der Zeitspanne um 2010. Und begleitet hat mich da ein ganz bestimmtes Album: „Alps“ der russischen Post-Punk-Band Motorama.
Ich befand mich damals weg aus dem Norden Deutschlands, hinaus in die weite Welt. Wieviel passender könnte da ein Album mit dem Namen „Alps“ sein? „Alps“ triggert in mir sofort Fernweh und die Erinnerung an scheinbar zeitlose und unendliche Sommer. Das mag an den unzähligen Autobahnkilometern und sonnigen Stunden im Park liegen, die ich mit dem Album geteilt habe. Es mag aber auch daran liegen, dass ich mich immer ins ferne Russland geträumt habe, das Heimatland von Motorama. Vielleicht verbinden aber auch Motorama Fernweh mit ihrem Album, schließlich hat „Alps“ damals in Europa schnell mehr Aufmerksamkeit und Zuspruch erreicht als in der kleinen Post Punk-Szene im heimatlichen Rostow am Don. Auch wenn Motorama den Vergleich mit Joy Division immer ablehnten, so hört man doch ganz klare Referenzen zu Ian Curtis und dem 80er New Wave heraus.
„Alps“ ist zwar am 17. Mai 2010 erschienen, wurde jedoch nach dem Nachfolger „Calendar“ nochmal neu veröffentlicht und um drei Songs erweitert. Jeder einzelne der ursprünglich neun Songs ging mir damals tief ins Mark, schien wie angegossen in diese Zeit zu passen, hat die Grenzen in meiner Heavy Rotation bis aufs Letzte ausgereizt. Ich war mir damals sicher, dass „Alps“ ein Album ist, an dem ich mich niemals satthören könnte. Und zehn Jahre später kann ich sagen: Ja, so richtig sattgehört habe ich mich nie daran. Auch Jahre danach tauchen die zeitlosen Songs in meinen „Sommer Flashback“-Spotify-Listen auf, weil ich mich immer wieder gerne in unzählige Momente hineinträume, die ich mit dem Album teile.
Fangen wir bei dem Opener „Northern Seaside“ an. Bereits die ersten Melodien des Albums haben mich in den Bann gezogen. Motorama eröffnen „Alps“ mit einer einprägsamen Bassline, die in mir sofort den unbändigen Drang auslöst, selbst Bass spielen zu können. Zum Bassspielen konnte ich mich zwar nie überwinden, die Bassistin Irene ist für mich aber immer noch ein weibliches Vorbild.
Zu dem Bass von Irene gesellen sich zunächst ein sanftes Gitarrenspiel und schließlich der tiefe Gesang des Sängers Vlad Parschin. „I am alone, throwing Stones trough the Dark“ – Wow, es war um mich geschehen.
„Alps“ ist auch soundtechnisch ein Album voller Sehnsucht nach der Ferne und dem Vergangenen. Zu dem Sound gesellen sich melancholische Texte, vorgetragen von der traurig wirkenden Stimme Parschins und umhüllt von Naturbildnissen. So erzählt „Wind In Her Hair“ von schöneren Zeiten und einem Ende, das schmerzhaft gewesen zu sein schien.
Our traveling is over
I’m sorry for the pain
Inside of forest shades
We saw each other hardly
Zehn Jahre sind seit dem Album vergangen, doch durch seine angelegte Zeitlosigkeit hat es nichts an Aktualität verloren.
Motorama im Netz:
https://www.instagram.com/wearemotorama/
https://www.facebook.com/wearemotorama
Tracklist:
- Northern Seaside
- Warm Eyelids
- Compass
- Letter Home
- Wind In Her Air
- Ghost
- Alps
- Ship
- Hunters
- Normandy
- Empty Bed
- Far Away From The City